Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen, §§ 85 ff. SGB IX

Viele Arbeitnehmer genießen den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Danach bedarf die Kündigung zu ihrer Wirksamkeit betrieblicher, personen- oder verhaltensbedingter Gründe. Behinderte Menschen haben zusätzlich Sonderkündigungsschutz, denn das Integrationsamt muss vorher seine Zustimmung zur Kündigung erteilen. Eine ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers ist unwirksam.

Inwiefern genießen schwerbehinderte Menschen Kündigungsschutz?

Viele Arbeitnehmer genießen den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Danach bedarf die Kündigung zu ihrer Wirksamkeit betrieblicher, personen- oder verhaltensbedingter Gründe. Behinderte Menschen haben zusätzlich Sonderkündigungsschutz, denn das Integrationsamt muss vorher seine Zustimmung zur Kündigung erteilen. Eine ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung des Arbeitgebers ist unwirksam.

Welche Arbeitnehmer genießen diesen Sonderündigungsschutz?

Der Arbeitnehmer muss schwerbehindert sein. Schwerbehindert gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX ist, wer einen Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 aufweist. Wer aber einen GdB von wenigstens 30 hat und infolge seiner Behinderung ohne eine Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann, kann einen Gleichstellungsantrag bei der Arbeitsagentur stellen. Nach der Gleichstellung besteht der gleiche Schutz wie für schwerbehinderte Menschen. Die Gleichstellung wird mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam.

Wann muss die Schwerbehinderung vorliegen?

Besonderer Kündigungsschutz ist dann gegeben, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch bei der zuständigen Stelle gestellt worden ist und diesem später stattgegeben wird. Mittlerweile hat das BAG entschieden, dass der Antrag mindestens drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung beim Versorgungsamt/Bezirksregierung eingegangen sein muss. Ausnahmsweise besteht Sonderkündigungsschutz vor und ohne Antragstellung, wenn die Schwerbehinderung offenkundig (amputiertes Bein) ist oder wenn der Schwerbehinderte den Arbeitgeber über seine körperlichen Beeinträchtigungen und die beabsichtigte Antragstellung informiert hat.

Ab wann greift der Sonderkündigungsschutz?

Nach Ablauf einer Wartezeit von 6 Monaten seit Beginn des Arbeitsverhältnisses, § 90 Abs. 1 Ziffer 1 SGB IX.

Wie kann sich der Arbeitgeber über das Bestehen einer Schwerbehinderung informieren?

Den Arbeitnehmer trifft von sich aus keine Offenbarungspflicht zur Schwerbehinderung. Ob die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung vor Begründung des Arbeitsverhältnisses zulässig ist, ist hoch umstritten. Eine Frage nach der Schwerbehinderung durch den Arbeitgeber ist aber nach Ablauf der Probezeit zulässig. Verneint der schwerbehinderte Arbeitnehmer diese Frage wahrheitswidrig, kann er sich nicht mehr auf seinen Kündigungsschutz wegen Schwerbehinderung berufen. Fragt der Arbeitgeber dagegen nicht und kündigt, wird die Kündigung unwirksam, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung anschließend anzeigt. Allerdings wird vom BAG eine Reaktion des Arbeitnehmers innerhalb von drei Wochen seit Zugang der Kündigung verlangt, ansonsten muss er die Verwirkung seines Kündigungsschutzes befürchten. Gewahrt ist diese Frist aber auch, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige der Schwerbehinderung in einer von ihm erhobenen Kündigungsschutzklage mitteilt, die er innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung erheben muss.

Wann wird das Integrationsamt einer ordentlichen Kündigung zustimmen?

Die Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung ist dann zu verweigern, wenn die Kündigung wegen oder im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung ausgesprochen wird. Dabei steht dem Integrationsamt ein Ermessen zu. Es haben sich Ermessensgrundsätze herausgebildet, die nach Art der Kündigung unterscheiden. Beruht die Kündigung auf personenbedingten, insbesondere krankheitsbedingten Gründen, muss die Zustimmung erteilt werden, wenn auch die Umsetzung auf einen anderweitigen Arbeitsplatz im Betrieb nicht möglich ist. Bei verhaltensbedingten Kündigung (z.B bei Fehlverhalten des Arbeitnehmers) ist normalerweise kein Zusammenhang zur Schwerbehinderung gegeben, sodass die Zustimmung grundsätzlich zu erteilen ist. Nur ausnahmsweise, wenn das Fehlverhalten behinderungsbedingt ist und die Würde und das Persönlichkeitsrecht anderer Mitarbeiter des Betriebs wiederholt erheblich verletzt wird, sodass der Betriebsfrieden erheblich gestört wird, wäre der Kündigung zuzustimmen. Bei betriebsbedingten Kündigungen (z. B. wegen Rationalisierungsmaßnahmen oder Auftragsrückgängen) ist die Zustimmung grundsätzlich zu erteilen.

Was muss der Arbeitgeber bei beabsichtigter ordentlichen Kündigung nach Zustellung der Zustimmung des Integrationsamtes tun?

Will der Arbeitgeber ordentlich kündigen, so muss er die Kündigung binnen eines Monats (§ 88 SGB IX) dem Arbeitnehmer zustellen, sonst verliert der Zustimmungsbescheid seine Rechtsgültigkeit. Verpasst der Arbeitgeber diese Frist, so hat er das Zustimmungsverfahren erneut einzuleiten. Der Arbeitgeber kann auch innerhalb der Monatsfrist mehrmals unter Verweis auf die Zustimmung kündigen, beispielsweise um formelle Fehler zu beheben. Aber Achtung: Der Arbeitgeber darf nicht zu früh kündigen. Nach den Zustellungsvorschriften gilt die Zustimmung erst am dritten Tage nach Aufgabe des Bescheides zur Post als zugestellt. Da es also nicht auf den tatsächlichen Zugang, sondern auf die rechtliche Zustellung ankommt, wäre die Kündigung wegen Verstoßes gegen die Zustimmungspflicht unwirksam, wenn diese Drei-Tage-Frist unterlaufen wird. Der Arbeitgeber sollte den Eingangsstempel auf dem Briefumschlag des Zustimmungsbescheides genau beachten und dem Briefumschlag behalten.

Was muss der Arbeitgeber bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beachten?

Eine außerordentliche Kündigung ist gerechtfertigt, wenn Gründe vorliegen, die dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Allerdings gilt hier die Frist des § 626 Abs. 2 BGB, wonach der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung binnen zwei Wochen nach Kenntnis über die die Kündigung begründen Umstände zu erklären hat. Auch bei dieser Art der Kündigung muss das Integrationsamt zustimmen. Das Pendant zu § 626 Abs. 2 BGB ist § 91 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, wonach die Zustimmung zur Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der Kündigungsgründe beantragt werden kann. Das Integrationsamt muss nun innerhalb von zwei Wochen eine Entscheidung treffen. Ergeht innerhalb dieser Frist keine Entscheidung, gilt die Zustimmung als erteilt. Der Arbeitgeber muss dann unverzüglich kündigen. Trifft hingegen das Integrationsamt eine Zustimmungsentscheidung, so muss auch hier unverzüglich gekündigt werden. Dabei ist die Zustimmung nicht an eine bestimmte Form gebunden. Sie kann beispielsweise auch telefonisch oder per Fax ergehen.

Was kann der Arbeitnehmer gegen die Zustimmung des Integrationsamtes tun?

Der Arbeitnehmer kann Widerspruch und gegebenenfalls Anfechtungsklage gegen den Zustimmungsbescheid erheben. Allerdings wird dadurch keine aufschiebende Wirkung hergestellt, der Arbeitgeber kann also trotzdem kündigen. Der Arbeitnehmer wäre dann gut beraten, gegen die Kündigung Kündigungschutzklage zu erheben. Auch der Arbeitsprozess ruht nicht wegen Durchführung von Widerspruch und Anfechtungsklage. In der Regel ist das arbeitsgerichtliche Verfahren beendet, bevor eine endgültige Entscheidung über die Zustimmung getroffen wird. Stellt sich allerdings später heraus, dass die Zustimmung nicht hätte erteilt werden dürfen, so kann der Arbeitnehmer gegen ein gegen ihn gerichtetes Urteil des Arbeitsgerichts Restitutionsklage gemäß § 580 ZPO erheben.

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A.Habbes


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