Hautkrebserkrankungen (Melanomerkrankungen) stellen hinsichtlich Erkennung sowie Behandlung an den Arzt hohe Anforderungen. Dies gilt besonders für das maligne Melanom, auch schwarzer Hautkrebs genannt, einer der bösartigsten Hautkrebserkrankungen.
1.
Hautkrebserkrankungen (Melanomerkrankungen) stellen hinsichtlich Erkennung sowie Behandlung an den Arzt hohe Anforderungen. Dies gilt besonders für das maligne Melanom, auch schwarzer Hautkrebs genannt, einer der bösartigsten Hautkrebserkrankungen. Insbesondere neigt diese Art von Tumor dazu, früh Metastasen über Lymph- und Blutbahnen zu streuen, was dazu beiträgt, dass die Todesrate bei dieser Erkrankung hoch ist. Um so wichtiger ist es für den behandelnden Arzt, frühzeitig eine sachgerechte Diagnose dieser Erkrankung zu stellen und den Patienten danach zeitnah und richtig zu behandeln.
2.
Im ersten Schritt geht es um die Feststellung der Melanomerkrankung beim Patienten. Stellt der Arzt hier eine verkehrte Diagnose, kann dies dem Arzt als haftungsbegründet vorgeworfen werden, wenn sich die Diagnose als nicht mehr vertretbar bzw. unvertretbare Fehlleistung darstellt oder Symptome vorliegen, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt werden (BGH, VersR 2003, 1256; OLG Je-na, OLGR 2009, 420; OLG Karlsruhe, OLGR 2008, 90; OLG Koblenz, OLGR 2006, 911).
Einen besonderen Stellenwert bei Diagnosefehlern nehmen die soge-nannten Befunderhebungsfehler ein. Bei derartigen Fehlern geht es nicht darum, dass der Arzt, nachdem er Befunde festgestellt hat, eine verkehrte Diagnose stellt, sondern um Fehler, welche bereits zeitlich vor der Diagnosestellung bei der Anamnese und Untersuchung des Patienten gemacht werden. Das Nichterheben oder das fehlerhafte Erheben von Befunden kann als vorwerfbarer Diagnosefehler anzusehen sein, wobei das Unterlassen der Befunderhebung bei zweifelsfrei gebotener Befundung auch als schwerer Behandlungsfehler gewertet werden kann (BGH, NJW 1995, 778).
3.
Der Nachweis eines vorwerfbaren Diagnoseirrtums oder eines Fehlers in der Befunderhebung hat für den Patienten im Arzthaftungsprozess den Vorteil, dass ihm eine Beweislastumkehr zu Gute kommt, wenn
a. der Diagnosefehler entweder als grob zu bewerten ist ("fundamentaler Diagnoseirrtum"),
b. ein grober Fehler in der Befunderhebung vorliegt oder,
c. ein leichter Fehler in der Befunderhebung vorliegt, eine sachgerechte Befunderhebung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit jedoch zu einem
reaktionspflichtigen Ergebnis geführt hätte und einer Verkennung dieses Befundes oder eine Nichtreaktion auf ihn,als grob fehlerhaft anzusehen wäre.
(Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Auflage, D18, m.w.N.; vgl. BGH, VersR 2004, 909).
4.
Bei dermatologischen Auffälligkeiten ist eine Befunderhebung des behandelnden Arztes welche sich lediglich auf eine optische Sichtprüfung beschränkt, nicht ausreichend. Vielmehr sind bei derartigen Auffälligkeiten mögliche bösartige Befunde differenzialdiagnostisch auszuschließen. Hierbei geht es insbesondere auch darum, sicher abzuklären, ob bösartige auch tödlich verlaufende Hautkrebserkrankungen vorliegen. Dies gilt auch dann, wenn der Patient über eine andere naheliegende Ursache für das Vorliegen einer Gesundheitsveränderung im Bereich der Körperoberfläche, etwa ein Stoßereignis als Ursache für ein Nagelhämatom, berichtet.
Eine histologische Befunderhebung ist in derartigen Fällen erforderlich. Dies hat das OLG Hamm in einer aktuellen Entscheidung vom 27.10.2015 (AZ: 26 U 63/15) festgestellt. Im entschiedenen Fall war außerdem von Bedeutung, dass der behandelnde Arzt der Patientin überlassen hat, den Ort der Nagelprobe selbst zu bestimmen und die Entnahme der Probe durchzuführen. Das wird seitens des Senats als fehlerhaft bewertet mit der Begründung, um die erfolgversprechenste Stelle für die Überprüfung des Melanomverdachts zu erreichen, hätte die Nagelprobe durch den behandelnden Hautarzt selbst entnommen werden müssen.
Das Gericht orientiert sich bei dieser Bewertung an den Feststellungen des beauftragten gerichtlichen Sachverständigen, welcher betont hat, dass die Aufgabe der Probeentnahme für die Durchführung der histologischen Befundung wegen der herausragenden Bedeutung für das Untersuchungsergebnis nicht an Dritte delegiert werden durfte, insbesondere nicht an die Patientin selbst oder an andere Personen, wie z.B. an ihre Fußpflegerin (Podologin).
5.
Ist der - wie in dem vom OLG Hamm beurteilten Fall - erhobene Histologiebefund im Hinblick auf die Frage eines Melanoms nicht aussagekräftig, hätte eine weitere Abklärung wegen des insgesamt suspekten Befundes erfolgen müssen. Hierzu hätte die Patienten wieder einbestellt werden müssen. Es genügt in derartigen Fällen nicht davon auszugehen, dass der Patientin die Notwendigkeit der Wiedervorstellung eigentlich klar sein musste. Vielmehr hätte die Patientin im Rahmen des Telefongesprächs, in welchem das Ergebnis der histologischen Untersuchung mitgeteilt wurde, auch erklärt werden müssen, dass aufgrund des suspekten Befunds eine erneute histologische und sonstige Befundung zwingend notwendig sei und sie sich deshalb wieder vorstellen müsse.
6.
Im Ergebnis führt der Senat aus, angesichts der Umstände, das ein unbehandeltes Melanom zum Tode führt, dass die Überlassung der Durchführung der Nagelprobe an die Patientin zu Verifizierung eines solchen Melanoms völlig unzuverlässig und ungeeignet gewesen ist, und da die deshalb zwingend notwendige erneute histologische und sonstige Befundung mangels Hinweises nach Durchführung der ersten histologischen Untersuchung nicht sichergestellt worden ist, liege ein Fehlverhalten vor, bei dem eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen worden ist und das dies aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil es einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. dazu BGH, NJW 2001, 2795).
7.
Der Senat bejaht demnach einen groben Behandlungsfehler mit der Folge, dass der Patientin bezüglich der auf das Fehlverhalten zurückzuführenden Schäden eine Beweislastumkehr zu Gute kommt. Darüber hinaus führt der Senat aus, es komme deshalb auch nicht mehr darauf an, dass hinsichtlich der Durchführung der Nagelprobe erst Recht ein einfacher Befunderhebungsfehler vorliege, der ebenfalls zur Beweislastumkehr führen würde, weil nach den Feststellungen des Sachverständigen bei ordnungsgemäßer Durchführung, dass schon seit Monaten oder Jahren bestehende Melanom mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt worden wäre und ein Verkennen des Melanoms oder eine Nichtreaktion als grob fehlerhaft anzusehen gewesen wäre.
8.
Aus der Entscheidung des OLG Hamm (aaO) ist zu entnehmen, dass unter Berücksichtigung der Stärkung der Patientenrechte bei einem Melanomverdacht hohe Anforderungen an die Befunderhebung, insbesondere die differenzialdiagnostische Abklärung eines vermeintlichen bösartigen Befundes zu stellen sind. Demgegenüber hat das Brandenburgische OLG in einem Urteil vom 21.7.2011 (AZ: 12 U 9/11) noch die Ansicht vertreten, bei Vorliegen eines Muttermals genüge einer dermatologische Untersuchung durch optische Befundung mit Speziallupe. Hat diese Diagnose gesichert ein Muttermal ergeben, sei es nicht erforderlich, eine Gewebeprobe, die den Nachweis eines bösartigen Tumors erbracht hätte, zu veranlassen.
Allerdings war der vom Brandenburgischen OLG (aaO) beurteilte Fall auch etwas anders gelagert wie der Sachverhalt gemäß der Entscheidung des OLG Hamm (aaO). Bei dem der Entscheidung des Brandenburgischen OLG (aaO) zu Grunde liegenden Sachverhalt konnte nicht bewiesen werden, dass die durchgeführte Untersuchung einen suspekten Befund ergeben hat. Dem vom OLG Hamm (aaO) beurteilten Fall lag jedoch nach der ersten histologischen Untersuchung ein suspekter Befund vor.
Gleichwohl hätte es aus hiesiger Sicht auch bei der vom Brandenburgischen OLG (aaO) beurteilten Fallkonstellation nahe gelegen, eine weitere differenzialdiagnostische Abklärung des Muttermals im Hinblick auf den Ausschluss einer bösartigen Melanomerkrankung zu fordern.
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