Widerspruchsbelehrung

Ungültige nationale Vorschrift zur Widerspruchsbelehrung: Europäischer Gerichtshof stellt circa 108 Millionen Versicherungsverträge auf den Prüfstand.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 einerseits für eine längst fällige Klarstellung, anderseits jedoch für erhebliche Verwerfungen auf dem Lebensversicherungsmarkt gesorgt (Aktenzeichen C-209/12). Ausgangsfall war der Folgende: Ein Versicherungsnehmer hatte bei einer Versicherung im Dezember 1998 einen Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen, den er über eine Zeitraum von fünf Jahren jährlich mit einer Versicherungsprämie speiste. Ihm sollte die entsprechende Rente von der Versicherung ab dem 1. Dezember 2011 gewährt werden. Am 1. Juni 2007 hatte der Versicherungsnehmer gegenüber der Versicherung den Vertrag gekündigt. Die Versicherung berechnete den Rückkaufswert und kehrte diesen aus.

Erst mit Schreiben vom 31. März 2008 widersprach der Versicherungsnehmer der Eingehung des Vertrages nach § 5 a Versicherungsvertragsgesetz (VVG).

Er forderte die Versicherung auf, ihm sämtliche Prämien nebst Zinsen unter Abzug des bereits ausgekehrten Rückkaufswertes zu erstatten. Mit einer Klage gegen die Versicherung scheitere der Versicherungsnehmer in den unteren Instanzen. Er legte hiergegen Revision ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die entsprechende Rechtsfrage aufgrund etwaiger Kollisionsmöglichkeiten mit EU-Recht dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Bis zum 31. Dezember 2007 galt § 5 a des VVG. Hier war geregelt, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers für den Fall einer fehlerhaften Widerspruchsbelehrung gegenüber dem Versicherer ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Damit hatte der deutsche Gesetzgeber seinerzeit Rechtssicherheit schaffen wollen. Er war damals davon ausgegangen, dass jemand, der sich über ein Jahr vertragsgerecht verhält, dem anderen Vertragspartner damit das Vertrauen einräumt, dass der Vertrag auch weiterhin bestehen soll.

Der EuGH hat nunmehr mit vorgenanntem Urteil dieser Auffassung eine deutliche Absage erteilt. Die Anfrage des BGH, ob der Verlust des Widerspruchsrechts nach einem Jahr vertragsgerechten Verhaltens mit Artikel 15 Absatz 1 der zweiten Richtlinie 90/619/EWG und/oder mit Artikel 31 der Richtlinie 92/96/EWG beziehungsweise mit der Änderung der Richtlinie 79/267/EWG vereinbar ist, hat der EuGH nun deutlich verneint. Das Unionsrecht ist dahingehend auszulegen, dass es einer nationalen Regelung wie dem vormaligen § 5 a VVG entgegensteht. Demnach erlischt ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie nicht (!), wenn der Versicherungsnehmer nicht (korrekt) über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist.

Was bedeutet dies für den Versicherungsmarkt?

Laut Angaben der verklagten Versicherung entschied dieses Urteil über das Schicksal von etwa 108 Millionen Versicherungsverträgen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die zwischen 1995 und 2007 abgeschlossen worden seien. Es handele sich nach dortigen Angaben um Prämien in Höhe von über 400 Milliarden Euro. Auf Anfrage der Versicherung hatte der EuGH mitgeteilt, dass dies nicht ausreiche, um eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen festzustellen, die zu einer zeitlichen Eingrenzung der Folgen des Urteils berechtigten. Dabei handelt es sich zunächst um alle Verträge, die nach dem so genannten Policenmodell eingegangen worden sind. Das bedeutet, dass die Versicherung auf Antrag des Versicherungsnehmers den Versicherungsschein nebst der Bedingungen versandt hatte. Hatte dieser dem Vertrag nicht innerhalb von 14 Tagen widersprochen, galt der Versicherungsvertrag als geschlossen.

Es sind daher alle Versicherungsnehmer, die eine Lebens- / Rentenversicherung zwischen 1995 und 2007 abgeschlossen haben, aufgefordert, ihre Unterlagen noch einmal von Fachanwälten aus dem Versicherungsrecht überprüfen zu lassen. Auch bereits gekündigte Versicherungen können nach diesem Urteil des EuGH aufgrund noch weiterhin zu erklärendem Widerspruch umfassend abgewickelt werden. Das bedeutet, dass für den Fall einer fehlerhaften oder nicht vorhandenen Widerspruchsbelehrung der (vormalige) Versicherungsnehmer mögliche eingezahlte Prämien zuzüglich der gesetzlichen Zinsen (fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz) erstattet verlangen kann. Da hier ein Prämienaufkommen von bis zu 400 Milliarden Euro zurückgefordert werden kann, besteht auch die Gefahr, dass einige Versicherungsunternehmen den Markt alsbald verlassen werden.

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Dr. Eberhard Frohnecke

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